MLP Gesundheitsreport 2012/13: Pflege, Krankenhäuser und Ärztemangel als Großbaustellen im Wahljahr
- Trotz Höchstwert bei Zufriedenheit mit Gesundheitswesen: 47 Prozent
der Bürger und 73 Prozent der Ärzte fordern weitere Reformen – kein Konsens bei Vorschlägen wie der „Bürgerversicherung“
- Pflege: 71 Prozent der Deutschen fordern ein größeres Engagement
der Politik – Pflege-Bahr kommt für 39 Prozent in Frage
- Krankenhäuser: 57 Prozent klagen über Zeitmangel von Ärzten
(1995: 31 Prozent), fast jeder Zweite hält Pflegepersonal für überfordert
- 56 Prozent der Ärzte sehen heute einen Ärztemangel – in Hessen
(73 Prozent) und Hamburg (71 Prozent) klagt die Bevölkerung am häufigsten über lange Wartezeiten beim Arzt
Wiesloch/Berlin, 23.01.2013 – Obwohl das Vertrauen in die generelle Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens sehr hoch ist, sehen Bevölkerung und Ärzte konkret Einbußen bei der Versorgungssicherheit. Krankenhauspatienten beklagen mehrheitlich einen Zeitmangel bei Ärzten und überfordertes Pflegepersonal; jeder zweite Arzt im Krankenhaus erwartet Qualitätseinbußen in den nächsten Jahren. Die Besorgnis über den Ärztemangel hat zugenommen. Die Bevölkerung klagt vielfach über lange Wartezeiten, insbesondere in Hessen und in Hamburg. Aus Kostengründen hat zudem schon mehr als jeder dritte Arzt in Einzelfällen auf medizinisch notwendige Behandlungen verzichten müssen. Ärzteschaft und Bevölkerung äußern daher weiterhin verbreitet Reformbedarf – wenn auch weniger als noch vor der letzten Bundestagswahl. Kaum Konsens besteht bei einzelnen Vorschlägen der Politik zur Gestaltung des Gesundheitswesens, für die „Bürgerversicherung“ spricht sich nur eine knappe Mehrheit aus. Bei der Pflege reicht der Bevölkerung das Engagement der Regierung auch nach den jüngsten Reformschritten bei weitem nicht aus, beim „Pflege-Bahr“ als Anreiz für eine private Zusatzabsicherung ist das Stimmungsbild geteilt. Dies sind einige Kernergebnisse des 7. MLP Gesundheitsreports. Die repräsentative Studie im Auftrag des unabhängigen Finanzund Vermögensberaters MLP hat das Institut für Demoskopie Allensbach erstellt.
Kaum Konsens für einzelne Reformvorschläge der Politik
Mit einem langjährigen Spitzenwert von 82 Prozent (2011: 72 Prozent) urteilt die Bevölkerung inzwischen positiv über die generelle Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens. Unter den Ärzten halten inzwischen 93 Prozent (2011: 88 Prozent) das heutige Gesundheitswesen für gut oder sehr gut. Dennoch sehen 40 Prozent der Ärzte und 39 Prozent der Bevölkerung (2011: 43 bzw. 47 Prozent) Qualitätsverluste bei der Gesundheitsversorgung in den letzten zwei, drei Jahren.
Diese verbesserte Einschätzung spiegelt sich auch in abnehmender Kritik an der Regierung wider: 42 Prozent der Bevölkerung (2011: 55 Prozent) haben keinen guten Eindruck von der Gesundheitspolitik. Hingegen stellt eine konstante Ärztemehrheit von mehr als 71 Prozent (2011: 72 Prozent) der Regierung weiterhin ein schlechtes Zeugnis aus. 60 Prozent von ihnen haben Zweifel, ob die Politik dauerhaft eine gute Gesundheitsversorgung für alle sicherstellen kann – die Einstellung in diesem Punkt hat sich gegenüber den Vorjahren (2010: 81 Prozent) aber deutlich verbessert.
Reformbedarf ist mit 47 Prozent (2009: 65 Prozent) in der Bevölkerung weiterhin verbreitet, bei den Ärzten mit 73 Prozent (2009: 81 Prozent) immer noch stark vorhanden. In beiden Gruppen, insbesondere in der Bevölkerung, ist er aber gegenüber dem vorherigen Wahlkampfzeitraum gesunken. Unter den Ärzten erwarten inzwischen auch nur noch 4 Prozent (2009: 13 Prozent), dass es nach der Wahl auch zu grundlegenden Reformen kommen wird. Insgesamt ist das Kompetenzprofil der Parteien im Bereich Gesundheitspolitik wenig ausgeprägt – für die Bevölkerung noch am ehesten bei CDU und SPD (beide 15 Prozent).
Die „Bürgerversicherung“, der im beginnenden Wahlkampf dominierende Reformvorschlag der Opposition, stößt bei etwas mehr als der Hälfte der Bevölkerung auf Zustimmung. Diese Befragten sprechen sich dafür aus, dass sich in Zukunft auch Beamte, Selbständige und gut verdienende Angestellte gesetzlich versichern müssen und eine private Absicherung dann nur noch im Rahmen von Zusatzversicherungen möglich ist. Die Ärzteschaft ist in diesem Punkt hingegen gespalten: 51 Prozent befürworten den Reformvorschlag, 41 Prozent sind dagegen. Zugleich ist der größte Teil der Ärzteschaft (47 Prozent) davon überzeugt, dass die Einführung überhaupt keine Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung hätte – 26 Prozent sehen eine Verschlechterung, nur 20 Prozent eine Verbesserung.
Am Gesundheitsfonds wird derzeit kaum gerüttelt: Der unter anderem auch von SPD-Politikern geäußerte Reformvorschlag, gesetzliche Krankenkassen wieder selbst über die Höhe des von ihnen erhobenen Beitrags entscheiden zu lassen, findet keine Mehrheit. Stattdessen spricht sich der größte Teil der Bevölkerung (49 Prozent) angesichts weitgehend identischer Leistungen auch für gleiche Beitragssätze aus.
Beim Umgang mit den aktuell hohen Überschüssen in der gesetzlichen Kranken- versicherung findet sich keine Mehrheit für eine Senkung der Kranken- kassenbeiträge: Die Ärzte sprechen sich stattdessen mit großer Mehrheit (59 Prozent) für die Bildung von Rücklagen aus, in der Bevölkerung plädieren immerhin 38 Prozent für diesen Weg. Sowohl die Rückerstattung (37 Prozent) als auch die Senkung von Beiträgen (34 Prozent) stößt dagegen auf eine leicht geringere Zustimmung.
„Derzeit besteht die Gefahr, dass die konjunkturbedingt gute Kassenlage in den Sozialsystemen eine falsche Sicherheit erzeugt“, sagt Dr. Uwe Schroeder- Wildberg, Vorstandsvorsitzender von MLP. „Die kurzfristig gute Situation sollte aber spätestens in der neuen Legislaturperiode genutzt werden, um das Gesundheitswesen zukunftsfest zu gestalten. Deutlich zu kurz gesprungen ist dabei der Vorschlag einer Bürgerversicherung, weil er die Finanzierungsprobleme nicht löst.“
Krankenhäuser: Personalprobleme immer offensichtlicher
Welchen Eindruck haben Patienten und Ärzte von der Versorgung in deutschen Krankenhäusern? Grundsätzlich äußern sich sowohl Patienten (42 Prozent) als auch die Ärzte (80 Prozent) positiv. Dabei verweisen Patienten insbesondere auf die gute Ausstattung (57 Prozent) und die Hilfsbereitschaft des Pflegepersonals (74 Prozent). Kritisch sieht dagegen mehr als die Hälfte der Deutschen die mangelnde Zeit der Ärzte für den einzelnen Patienten. Mit 57 Prozent hat sich dieser Wert seit Mitte der neunziger Jahre nahezu verdoppelt (1995: 31 Prozent). Mehr als jedem Vierten zufolge gab es an dem in den letzten Jahren besuchten Krankenhaus zu wenig Ärzte und Fachärzte. Vor diesem Hintergrund erwartet auch bereits mehr als jeder zweite Arzt eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit in den nächsten Jahren.
Auch beim Pflegepersonal war die langfristige Entwicklung deutlich negativ: Einen Mangel an Krankenschwestern und -pflegern beklagen bereits 46 Prozent (1995: 29 Prozent) der Patienten, von einer Überlastung des Pflegeper- sonals berichten inzwischen 48 Prozent (1995: nicht erhoben, 2007: 43 Prozent). Auch angesichts dieser Entwicklung erwarten rund zwei Drittel der Ärzte, dass es schwieriger wird, qualifiziertes Pflegepersonal zu finden. Aus ihrer Sicht ist beim Pflegepersonal neben einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen (71 Prozent) vor allem auch eine höhere Bezahlung (66 Prozent) notwendig.
Ärztemangel: wachsende Besorgnis und vielfach lange Wartezeiten
Insbesondere Krankenhausärzte (65 Prozent) sehen im Ärztemangel bereits ein bundesweites Problem. Innerhalb der gesamten Ärzteschaft hat die Besorgnis auf Sicht der letzten beiden Jahren spürbar zugenommen: 56 Prozent sehen bereits einen Ärztemangel in Deutschland (2010: 46 Prozent). Mehr als jeder fünfte Arzt rechnet in den nächsten Jahren damit.
Gerade im Hinblick auf die regionale Versorgung sind die Ärzte zunehmend besorgt: 37 Prozent der niedergelassenen Ärzte erkennen bei sich vor Ort bereits einen Ärztemangel (2010: 22 Prozent). Weitere 28 Prozent rechnen damit in den nächsten Jahren. Die östlichen Bundesländer sind aktuell weitaus betroffener als die westlichen: 54 Prozent der Ärzte im Osten berichten von einem Ärztemangel bei sich in der Region – in Westdeutschland sind es nur 35 Prozent. Erhebliche Verschlechterungen sehen die Ärzte aus strukturund bevölkerungsschwächeren Regionen: 58 Prozent der niedergelassenen Ärzte aus Gebieten mit weniger als 100.000 Einwohnern beklagen bereits einen Ärztemangel vor Ort (2010: 31 Prozent).
Die künftige Entwicklung wird von der gesamten Ärzteschaft überaus pessimistisch eingeschätzt: Drei Viertel befürchten, dass sich die Situation bundesweit in Zukunft weiter verschärfen wird. Nur 11 Prozent gehen von einer zumindest unveränderten Lage aus. Als Ursache für einen zunehmenden Ärz- temangel nennen die Befragten vor allem die hohe Belastung durch den Arzt- beruf (85 Prozent).
Bereits heute spürt die Bevölkerung den Ärztemangel in Form längerer Wartezeiten: 52 Prozent geben an, dass sie sehr lange auf einen Termin warten mussten; 64 Prozent klagen darüber, dass sie sich trotz Termins sehr lange im Wartezimmer gedulden mussten. Kritisch äußern sich hier vor allem die gesetzlich Krankenversicherten. Von ihnen hatten 55 Prozent gegenüber 35 Prozent der privat Versicherten schon einmal Schwierigkeiten, relativ zeitnah einen Termin beim Arzt zu bekommen. Zudem mussten 67 Prozent gegenüber 48 Prozent trotz Termins bereits sehr lange im Wartezimmer sitzen. Gesetzlich Krankenversicherte klagen vor allem wesentlich häufiger darüber, dass sie mehrfach lange gewartet haben.
Deutliche Auswirkungen des steigenden Kostendrucks Fast die Hälfte der Ärzte – doppelt so viele wie 2008 – sieht die Versorgungsqualität aufgrund des zunehmenden Kostendrucks beeinträchtigt (46 Prozent). Weitere 43 Prozent befürchten, dass es in Zukunft dazu kommen wird. Mehr als jeder dritte Arzt hat laut eigenen Angaben aus Kostengründen schon auf medizinisch notwendige Behandlungen verzichten müssen. Allerdings waren dies bei den meisten Ärzten Einzelfälle. In der Bevölkerung ist die Besorgnis, dass Behandlungen aus Kostengründen nicht vorgenommen werden, leicht rückläufig, mit 31 Prozent aber immer noch verbreitet (2010: 42 Prozent).
Häufiger als zu einem Behandlungsverzicht kommt es zu Verschiebungen aus Budgetgründen. 56 Prozent der niedergelassenen und sogar 60 Prozent der Krankenhausärzte mussten zumindest in Einzelfällen notwendige Behandlungen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, 16 Prozent bzw. 15 Prozent schon häufiger.
39 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten mussten in den vergangenen Jahren Behandlungen beim Arzt schon selbst bezahlen, weil die Krankenkassen die Kosten für diese Leistungen nicht übernommen haben. Von den Privatversicherten berichten lediglich 29 Prozent, dass sie für ärztliche Leistungen selbst aufkommen mussten.
Besonders häufig äußern sich Hessen und Hamburger kritisch
Für medizinische Leistungen mussten eigenen Angaben zufolge die Patienten in Hessen (48 Prozent), Baden-Württemberg (47 Prozent) und Hamburg (46 Prozent) am häufigsten selbst aufkommen; am wenigsten die in Thüringen (25 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (26 Prozent). Die Elbstädter (71 Prozent) und die Hessen (73 Prozent) mussten sich auch trotz Termin am häufigsten im Wartezimmer gedulden; am wenigsten die Schleswig-Holsteiner (54 Prozent). Insbesondere in Hamburg, aber auch in Brandenburg (jeweils 60 Prozent), wird eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung insgesamt bemängelt. Den höchsten Reformbedarf äußern dennoch die Bayern (56 Prozent) – den geringsten die Berliner (34 Prozent). Die Qualität von Krankenhäusern wird bundesweit unterschiedlich bewertet: Hier äußern sich die Hessen am häufigsten positiv (57 Prozent), die wenigsten positiven Urteile gibt es in Schleswig-Holstein und dem Saarland (jeweils 29 Prozent). Die kompletten Länderübersichten sind als Schaubilder unter www.mlp-gesundheitsreport.de abrufbar.
Bisherige Reformschritte in der Pflege reichen Bevölkerung nicht
Bei der Pflege genügt der Bevölkerung das Engagement der Regierung auch nach den jüngsten Reformschritten nicht. 71 Prozent der Bevölkerung sind überzeugt, dass die Politik zur Sicherstellung und Verbesserung der Pflegesituation mehr tun müsste (2011: 82 Prozent). Viele urteilen dabei aus persön- licher Betroffenheit: 48 Prozent der Befragten machen sich Sorgen, dass sie im Pflegefall finanziell nicht ausreichend abgesichert sind (2011: 52 Prozent), nur eine Minderheit von 39 Prozent (2011: 37 Prozent) zeigt sich unbesorgt.
Eine private Pflegevorsorge ist für 69 Prozent der Befragten wichtig oder sehr wichtig. Staatliche Zuschüsse zur privaten Pflegezusatzversicherung befürworten 47 Prozent der Bevölkerung, lediglich 28 Prozent stehen einer solchen Maßnahme skeptisch gegenüber. Bei dem zu Jahresbeginn in Kraft getretenen „Pflege-Bahr“ als Anreiz für eine private Zusatzabsicherung ist das Stimmungsbild geteilt: Immerhin 39 Prozent sehen in dem staatlichen Zuschuss von fünf Euro einen Anlass, den Abschluss einer privaten Pflegezusatzversicherung ins Auge zu fassen. 40 Prozent sind anderer Meinung. Unter denen, die sich Sorgen um ihre Absicherung machen, sehen sogar 50 Prozent im Pflege-Bahr bereits einen Anreiz – lediglich 31 Prozent nicht.
Der MLP Gesundheitsreport ist eine repräsentative Umfrage unter rund 2.100 Bundesbürgern und mehr als 500 Ärzten. Ausgewählte Kernfragen des Reports wurden auch nach Bundesländern erhoben. Weitere Details sowie eine Bestellmöglichkeit des Reports unter www.mlp-gesundheitsreport.de.
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